Chancen in den Zielgruppen ältere Menschen & Menschen mit Behinderungen
Ziel des Kompetenznetzwerkes Informationstechnologie (KI-I) ist es, durch Erforschen, Entwickeln, Verbreiten und Anwenden von technischen und sozialen Innovationen die Lebenssituation von Menschen mit Beeinträchtigungen und älteren Menschen zu verbessern. Die beiden Geschäftsführer Dipl.-Ing. Dr. Franz Pühretmair (Bild links) und Dipl.-Ing. Gerhard Nussbaum über die Möglichkeiten smarter Heimtechnologien in diesem Feld.
Welche Möglichkeiten liegen in smarter Heim-Technologie für Menschen mit Beeinträchtigungen und älteren Menschen?
Franz & Gerhard: Wir beschäftigen uns schon lange mit Smart Home, da diese Technologien älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen sehr viel mehr Selbständigkeit ermöglichen. Manche dieser Anwendungen werden in der breiten Bevölkerung als Spielerei gesehen, wir vertreten aber Zielgruppen, für die es keine Spielerei ist. Ganz im Gegenteil: Diese Anwendungen sind für diese Menschen wichtig, um selbständig zu sein.
Durch das Steuern und Fernsteuern gehen für Menschen mit Behinderungen im wahrsten Sinne des Wortes Türen auf. Durch smarte Technologien können sie sich damit das Leben selbständig organisieren, das ist der große Nutzen. Sie bräuchten sonst jemanden, der das für sie macht.
Erzählt doch von den ersten Entwicklungen, und wie weit sind diese Lösungen heute bereits entwickelt?
Franz & Gerhard: Die ersten Ansätze gab es Mitte bis Ende der 80er Jahre, da ist es schon in Richtung Umgebungssteuerung gegangen. Trotzdem haben viele Menschen mit Behinderungen das Fernsehgerät nicht bedienen können. Die Schweizer haben zu der Zeit eine Umgebungssteuerung, d.h. eine Fernbedienung entwickelt, die eine Schnittstelle für verschiedene Eingabemöglichkeiten hatte, wodurch das Gerät auch für Menschen mit schweren körperlichen Behinderungen benutzbar wurde. Auch wir haben schon einige Lösungen entwickelt, so haben wir unter anderem verschiedene Möglichkeiten die Umgebung zu steuern, getestet und entwickelt, beispielsweise auch die Steuerung mittels Blinzelsensoren.
Und dann ging die Technik voran: Wäre doch cool, wenn man nicht nur den Fernseher und die Stereoanlage steuern könnte. Es wurde begonnen, Licht, Türen usw. mit Infrarot-Empfängern auszurüsten. Und dann ist etwas ziemlich Geiles passiert: Die Bussysteme sind Ende der 90er Jahre günstiger geworden. So konnte man z.B. über nur einem Infrarot-Sensor pro Zimmer die gesamte Wohnung steuern. Das war ein riesengroßer Gewinn für Menschen mit Behinderungen.
Heute können wir die gesamte Wohnung steuern, das bedeutet für Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen eine sehr hohe Selbständigkeit. Wir können die Jalousien bedienen, das Licht steuern, die Tür aufmachen, und sehr vieles mehr. Damit verbunden ist auch eine höhere Sicherheit: Im Brandfall oder sonst einem Notfall kann die Wohnung oder das Haus selbständig verlassen werden.
Wir können heute also bereits die gesamte Umgebung steuern. Das bedeutet viele Anwendungsmöglichkeiten.
Franz & Gerhard: Das Leben und Wohnungen werden immer vernetzter, die Steuerungstechnik ist schon sehr intelligent. Bis dato war die Umgebung relativ dumm, durch die Computertechnik und auch KI können wir einen Schritt weiter nach vorne denken: Da gibt es ganz viele neue Möglichkeiten. Die Umgebung wird dadurch zum technischen Hilfsmittel.
Wenn jemand aus dem Rollstuhl gefallen oder gestürzt ist, kann automatisch Hilfe geholt werden. Oder wenn wir vor dem Fernsehgerät eingeschlafen sind: KI kann das Licht und das TV-Gerät abdrehen, Jalousien herunterfahren. Bei eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten wie etwa bei Alzheimer und Demenz kann die gesamte Umgebung unterstützend wirken. Das nennen wir dann „Assisted Environment.“
Die Generationen werden immer älter, und die Betreuung wird noch eine sehr große Herausforderung. Durch Technik kann die Selbständigkeit bis ins hohe Alter gefördert werden. So kann eine Person mit leichter Demenz so weit unterstützt werden, dass sie noch selbständig leben kann. Das sind grundessentielle Dinge, da profitieren alle Anwender bis hin zur Familie, die entlastet wird. Und zusätzlich kann der Komfort von Menschen zusätzlich gesteigert werden.
Wie sieht es mit der Leistbarkeit aus?
Franz & Gerhard: Diese Technologien müssen nicht teuer sein. Es gibt den Mythos des teuren Umbaus, aber das stimmt nur bei einem Haus mit konventioneller Technik. Das konventionelle Objekt umbauen, dort ist ein hoher Aufwand gegeben. Aber: In einem Neubau mit moderner Planung ist der Mehraufwand bei gleichem Komfort z.B. bei den Elektroinstallationen eher gering, vielleicht bei 5%. Eine Umgebungssteuerung kostet zusätzlich noch 1.500 bis 2.000 EUR.
Bussysteme sind z.B. Standardtechnik und kosten heute für alle geich viel. Teuer wird es erst, sobald etwas nicht mehr Mainstream-Technik ist und extra gemacht werden muss.
Ein gutes Beispiel ist Apple TV: Ein blinder Mensch zahlt keinen Cent mehr dafür, und die Apple TV Box ist aber für ihn absolut bedienbar. Die Entwicklung von barrierefreien Mainstream-Geräte kostet vielleicht ein bisschen mehr und für den Endkunden kostet es im Endeffekt vielleicht 1 EUR mehr, aber der Benutzerkreis ist wesentlich ein größerer.
Was würdet ihr euch wünschen?
Franz & Gerhard: Wir würden uns wünschen, dass ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen bei der Entwicklung von Produkten berücksichtigt werden. Was als Killer-Feature auf den Markt kommt ist oft nicht barrierefrei, Touchscreens an Haushaltsgeräten sind gerade für blinde und sehbehinderte Menschen eine große Barriere. Früher gab es an der Waschmaschine drei Knöpfe, die Bedienung hat ein blinder Mensch gut lernen können. Heute gibt es Displays mit vielen Funktionen, sie sind damit für Menschen mit Seh-Beeinträchtigung nicht mehr bedienbar. Durch die Integration eines Bussystems können diese Menschen den Status am Handy abfragen. Dann hat der Blinde kein Problem mehr mit der Bedienbarkeit.
Vielen Dank für das Interview!
Das könnte Sie auch interessieren...
Warum eine gute Aus- und Weiterbildung so wichtig ist
Der KNX- und Normierungsexperte Mario Necker über die Notwendigkeit, über eine gute Aus- und Weiterbildung zu verfügen. Der Markt mit smarter Gebäudetechnologie wächst rasant, und wer den Anschluss an seine KundInnen nicht verlieren will, sollte sich mit diesen Systemen auseinandersetzen.
Warum eine Elektrotechnik-Lehre und Ausbildung eine Investition in die Zukunft ist
Walter Czetsch, Produktmanagement & Innovation bei der Energie AG Oberösterreich, über die glänzenden Zukunftschancen mit einer Elektriker-Lehre. Und: Wir werden nur dann die Energiewende schaffen, wenn wir das FacharbeiterInnen-Problem lösen.
Der Fachkräftemangel ist eine Chance für Frauen
Der Fachkräftemangel bremst die europäische Wirtschaft aus, gleichzeitig sind Frauen immer noch hauptsächlich in nur fünf Berufsfeldern aktiv. Frauen sind eine wichtige Personalressource, die geweckt werden sollte. Daraus entsteht eine Win-win-Situation: Frauen verdienen mehr und werden unabhängiger, und Sektoren lösen ihr Fachkräfte-Problem.